Es ist laut. Unzählige Blaulichter und Maschinen drängen sich durch enge Gassen und bahnen sich den Weg durch die Menschen- und Schuttmassen. Bad Neuenahr-Ahrweiler im Landkreis Ahrweiler sowie viele weitere Ortschaften im Ahrtal waren vor wenigen Tagen noch ein beliebter Urlaubsort für Touristen. Binnen kürzester Zeit hatten sie sich zu einem Ort der Verwüstung verwandelt.
Die Ahr, ein ca. 90 km langer kleiner Fluss, hatte sich aufgrund starker Regenfälle und Dauerregen innerhalb weniger Stunden zu einem reißenden Strom entwickelt und sich den Weg durch die Dörfer und Städte gebahnt. Der Wasserpegel der Ahr hatte sich innerhalb kürzester Zeit von 0,80 m auf stellenweise ca. 10 m mehr als verzehnfacht, so hoch wie bei keinem Hochwasser bisher.
Dabei wälzte sich vom oberen, über das mittlere bis ins das untere Ahrtal eine 40 km lange Flutwelle. Die Ortschaften Müsch, Antweiler, Schuld u.w. sind die ersten Ortschaften, die am 15. Juli 2021 gegen 17:30 Uhr das Hochwasser trifft. Im weiteren Verlauf wird sich die Flutwelle über Stunden hinweg durch viele weitere Ortschaften an der Ahr die Bahn brechen und dabei eine Fläche von 200 Hektar (200 Fußballfelder) überfluten.
Doch wie konnte es zu der Flutkatastrophe kommen? Um auf diese Frage eine Antwort geben zu können, wird die Flut zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Modellen rekonstruiert. Neben den bereits erwähnten starken Regenfällen mit bis zu 200 Litern pro Quadratmeter, deren Wassermengen die Flüssen nicht mehr aufnehmen konnten, könnten neben dem Versagen von Alarmsystemen auch menschliche Versäumnisse die Ursache sein. Anbei ein kurzes, zeitliches Protokoll der Flutkatastrophe:

Die Zahlen spiegeln deutlich die Heftigkeit der Flutwelle wider. Man kann sich nur vage vorstellen, welche dramatischen Szenen sich an diesem Tag bzw. Nacht abgespielt haben müssen. Umso erfreulicher ist es, dass wir als Christen in der Zeit nach der Hochwasserkatastrophe den dort vor Ort lebenden Menschen mit materieller Hilfe in Form von Sachspenden und körperlichem Einsatz bei Aufräumarbeiten – inklusive Verpflegungsversorgungen – sowie finanziellen Hilfen und seelsorgerlicher Arbeit zur Hilfe kommen konnten und kommen.
Die Hilfsbereitschaft, der man in den Einsatzgebieten begegnete, war überwältigend. Inmitten dieser Naturkatastrophe konnte durch den Einsatz vieler freiwilliger Helfer, auch mit einem guten Anteil der Speyerer Jugend und Gemeinde, ein großer Teil der Last des Nächsten in praktischer Nächstenliebe getragen werden. Ein Lichtblick in diesen schweren Stunden. Der Anteil an Jugendlichen lag, abhängig vom Tag, zwischen 20 bis 60. Aus der gesamten Bruderschaft waren es insgesamt an Spitzentagen sogar über 600 Personen.
Nicht selten hatte man die Möglichkeit, mit Anwohnern, Helfern und Einsatzkräften vor Ort über den Glauben zu sprechen. Die Einsätze wurden stets von großer Dankbarkeit der Betroffenen begleitet und Arbeiten verrichtet, die von Betroffenen nicht alleine hätten bewerkstelligt werden können. Die Hauptschwerpunkte, in denen unsere Jugend mitgehalf, waren folgende:
– Entrümpeln der betroffenen Häuser
– Keller von Schlammmassen befreien
– Abtransport von Schutt und Schlamm
-Essenszubereitung und -ausgabe

Im Einzelnen folgen nunmehr zwei Erfahrungsberichte von Jugendlichen, die vor Ort mit angepackt und an dieser Stelle ihre Erlebnisse wiedergeben möchten:

Am Abend des 14. Juli 2021 ahnte noch niemand, welche Katastrophe sie erwartete. Binnen weniger Stunden verwandelten sich harmlose kleine Flüsse in der Eifel in reißende Ströme. Durch die tiefe Lage im Mittelgebirge und die wochenlangen massiven Niederschläge (bis zu 200 l/m2) kanalisierten sich viele kleine Bäche zusammen und bildeten eine reißende Sturzflut. Um etwa 19 Uhr erreichte der Wasserpegel die historische Marke von 3,21 m. Doch da rechnete noch niemand mit dem, was noch kommen sollte: Nur eine Stunde später wurde die 5 m-Marke überschritten und kurz darauf die Messgeräte von der Sturzflut mitgerissen. Die Flut rollte ungebremst ins Tal und zerstörte Existenzen und Menschenleben. Erst im Nachhinein konnte man an den Häusern ablesen, dass teilweise Höhen von 8 m erreicht wurden.
Die meisten konnten sich retten, indem sie aufs Dach kletterten oder rasch auf den Hügeln Hilfe suchten. Einige kletterten auf Bäume oder hielten sich mit letzter Kraft die ganze Nacht an Gegenständen fest. Doch es gibt auch viele Menschen, die überrascht wurden und keine Zeit hatten, sich zu retten. Besonders ältere Menschen, körperlich und geistig Benachteiligte sind unter den Flutopfern zu beklagen. Beispielsweise stand direkt neben der provisorischen Küche, in der wir kochten, ein Altersheim, in dem auch 12 Senioren ertranken. Die traurige Bilanz sind 141 Tote, 766 Verletzte und viele Menschen, die noch vermisst werden. Von tausenden zerstörten Häuser kaum zu schweigen.
Unmittelbar nach dem Ereignis startete die CDH-Stephanus einen Aufruf zur Fluthilfe. Um 6 Uhr trafen wir uns in der Mission, ausgestattet mit Schaufel und Stiefel. Von dort aus ging es nach Ulmen, was als Anlaufstelle aller Gemeinden diente. Ich war überrascht, wie viele Helfer doch spontan aus ganz Deutschland zusammenkamen. Sicherlich waren wir mehr als hundert Helfer jeden Tag. Dort wurden wir in Gruppen unterteilt und es ging weiter zum Knotenpunkt am Nürburgring. Ein Reiseunternehmen verteilte uns dann in die Orte, in denen Hilfe benötigt wurde. Die Hilfsbereitschaft war sogar so groß, dass der Reisebus zuerst wegen der großen Last nicht vom Parkplatz kam.
Dort angekommen bot uns ein schrecklicher Anblick. Wir fühlten uns wie im Epizentrum, denn zerstörte Häuser, Fahrzeuge, durch die Luft geschleuderte Wohnwagen, Anhänger und auch jede Menge Müll zeichneten das Bild. Kurzum, es sah aus wie im Krieg, als wären über das Tal verteilt schwere Bomben eingeschlagen.
Gerade am Anfang wusste man gar nicht, wo man zuerst anfangen sollte. In kleinen Gruppen gingen wir auf die Dorfbewohner zu und fragten, ob sie Hilfe bräuchten. Viele Keller waren vollgelaufen mit Schlamm und Öl, was wir mühsam mit der Schaufel Stück für Stück entfernten. Andere brauchten Hilfe beim Entfernen der Möbel, denn diese waren nicht mehr zu gebrauchen und wurden einfach vor das Haus geworfen. Die Laster, die den Müll mitnahmen, kamen einfach nicht hinterher.
Ich erinnere mich hier an ein Gespräch mit einem Bewohner, der sagte, jetzt merke er, dass diese ganzen materiellen Dinge, die man sich jahrzehntelang anhäufe, einfach keinen Wert haben. Von vielen Häusern waren am Ende nichts als die Wände übrig. Als der Tag sich dem Ende zuneigte, versammelten sich alle Helfer und sangen „Gib offene Augen mir, Herr, in der Not und helfende Hände gib mir“. Die Dorfbewohner waren dabei sichtlich gerührt und konnten so sehen, was es praktisch bedeutet, Jesus nachzufolgen.
So kamen wir auch ins Gespräch mit einigen Bewohnern, die teilweise Schockierendes zu berichten hatten. So erzählte ein Mann am Ende, dem wir halfen, dass er seine Mutter bei der Flut verlor, er seelisch tot sei und einfach nur noch funktionieren würde. Andere Bewohner eines Hauses flüchteten auf den Dachboden, aber eine korpulente Mitbewohnerin schaffte es nicht durch den Dachbodenschacht und so mussten sie ihr beim Ertrinken zusehen.
Besonders prägend war die Schilderung einer älteren Dame, bei der wir ihr Grundstück säuberten. Sie hatte vor der Flut eine schwere Zeit durchgemacht und einige Schicksalsschläge erlitten. Nach der Flut war sie so verzweifelt und in Sorge, wie sie alles bewältigen sollte, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, Suizid zu begehen. Aber als sie die ganzen Jugendlichen sah, die so zahlreich halfen und sie unterstützten, bekam sie wieder Hoffnung.
Und genau darum geht es: Den Menschen in der Not ein Licht zu geben am Ende des Tunnels und so mit der Tat den Namen Jesu zu verherrlichen. Christus spricht: „Ihr seid das Licht der Welt. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Gottes Hand inmitten von Chaos
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli geschah im Ahrtal eine Flutkatastrophe. In dieser großen Not wurden viele freiwillige Helfer gebraucht, welche auch mit Essen versorgt werden mussten. Und es musste schnell organisiert werden. Innerhalb weniger Stunden hatte sich am Montag, den 19. Juli, ein Team gebildet, das für die folgenden Tage ein Menü aufstellte und die erforderlichen Lebensmittel dafür einkaufte. Mein Einsatz sollte am Mittwoch erfolgen.
Am Dienstagnachmittag rief mich Roni an,der vor Ort war an. Ich solle unbedingt so viele Kartoffelsuppe-Konserven kaufen, wie ich finden könne, mindestens 100 Dosen, wenn möglich auch 200. Am gleichen Nachmittag entschieden wir uns noch, einen Aufruf für Kuchenspenden zu machen. Als ich abends in die Mission kam, stellte ich fest, dass sich eine Gruppe von ca. sechs Frauen getroffen hatte, die noch Frikadellen machte, um sie uns am Folgetag mitzugeben.
Mit gemischten Gefühlen machte ich mich am Mittwochmorgen dann auf den Weg, um alle Lebensmittel zusammenzupacken. Um 7 Uhr trafen wir uns alle in der Mission zur gemeinsamen Abfahrt. Unser Bus sollte direkt nach Altenburg fahren, wo die Verpflegungsstation aufgebaut war. Die Stimmung im Bus wurde gedrückter, je näher wir Altenburg kamen. Baustellenverkehr und Einsatzwagen der Feuerwehr und des THWs beherrschten das Straßenbild, die ungewohnten Straßensperren taten das Übrige. Aber dadurch, dass wir meldeten,wir würden von der CDH Stephanus Verpflegung bringen, wurden wir problemlos durchgelassen.
Ich hatte mich am Vortag über die Lage vor Ort informiert. In Altenburg angekommen stellte ich allerdings fest, dass man sich auf so eine Situation nicht einfach so einstellen kann. Die Bilder und Aufnahmen geben die Situation nur unzureichend wieder. Der Geruch des Schlammes und des Mülls, die Geräusche der startenden und landenden Hubschrauber, die unfassbare Zerstörung direkt neben einer unversehrten Kirche. Wer da war, weiß, was ich meine.
Auf dem Platz vor der Schule hatte man inmitten von Müllbergen und neben einem Autofriedhof zwei Pavillons aufgebaut. Außerdem standen uns zwei große Kasans zu Verfügung. Bei unserer Ankunft war es bereits fast 10:30 Uhr. Geplant war eigentlich ein Mittagessen um 12 Uhr. Als wir nun alles ausgepackt hatten und uns ans Werk machten, stellten wir fest, dass durchgehend Leute zum Essen kamen.
Auf einen guten Rat hin beschlossen wir, die Frikadellen schon als Mittagessen zu servieren. Für diese Riesenmenge konnten wir den geplanten Plov jedoch nicht in dieser kurzen Zeit fertig stellen. Daher erwärmten wir die Kartoffelsuppen. Keine Minute zu früh, denn mittlerweile gingen die Frikadellen dem Ende zu. Kaum war die Kartoffelsuppe fast aufgebraucht, war der Plov fertig. Zwischendurch erhielten wir frisch gekochte Gerichte, die wir auch verteilen konnten. Während wir den Plov verteilten, kochten wir weiter, nämlich eine Gemüsepfanne, Hot Dogs, Salate, und schnitten Ananasse und Melonen auf. Am Ende des Tages hatten wir mindestens 600 Portionen verteilt. Als wir abends wieder nach Hause fuhren, war vom Gepäck nur noch ein Karton übrig. Diesen ließen wir für die Anwohner da.
Seitdem wir angekommen waren, war durchgehend immer irgendjemand da, der Hunger hatte. Gott ließ es nicht zu, dass wir auch nur einen Moment ohne Essen da standen. Und inmitten von Zerstörung und Chaos sorgte Gottes ordnende Hand dafür, dass jeder was zu essen bekam.