Die Geschichte der Pfingstbewegung #5 Hermann Schulz

Von Gorščik nach Perwomajka

Hermann Schulz wurde 1892 im Dorf Styden, in der heutigen Ukraine, geboren. Seine Vorfahren waren Baptisten aus Salzburg. Da sie aber dort gezwungen wurden, den katholischen Glauben anzunehmen, wanderten sie nach Polen aus, wo sie schnell zu Wohlstand kamen. Darauf wurde die einheimische Bevölkerung neidisch und so beschloss die Familie, nach Gorščik, Ukraine, in die berühmte Wolhynien umzusiedeln.

Als junger Mann diente Hermann sechs Jahre lang in der zaristischen Armee, unter anderem als Friedenstruppen-Soldat. 1914 wurden jedoch viele Russlanddeutsche aufgrund des ersten Weltkrieges aus der Westukraine in russische Gebiete umgesiedelt. Darunter auch die Familie Schulz, die in das Gebiet Orenburg deportiert wurde. Hier befand sich eine Baptistengemeinde, deren Pastor Hermann mit Adelja Grischau bekannt machte. 1920 heirateten die beide und bekamen später neun Kinder miteinander. Als 1921 den Russlanddeutschen erlaubt wurde, zurück in die früheren Wohngebiete zu ziehen, machten sich Hermann und Adelja mit einigen Verwandten auf, um den langen Weg zu Fuß und mit Fuhren zurückzulegen. Adelja war währenddessen mit ihrem ersten Kind, der Tochter Berta, schwanger. In Gorščik angekommen, arbeitete Hermann als Dorfschuster. Von den etwa 1300 Einwohnern waren fast ausnahmslos alle Russlanddeutsche, die größtenteils religiös und Mitglieder von lutherischen bzw. baptistischen Gemeinden waren.

Auch die Familie Schulz wurde von ihren Eltern im baptistischen Bekenntnis erzogen. Hermann hatte regelmäßig die Bibel gelesen und predigte auch in der Gemeinde. In seinen Predigten wiederholte er immer den Gedanken, dass es doch mehr geben sollte, als nur Frieden im Herzen zu bekommen und im Wasser getauft zu werden. „Es muss noch mehr Erfahrungen geben, man soll nach den Gaben des Geistes streben“ – wiederholte er die Sehnsucht seines Herzens. „Hermann, was willst du mehr, wir haben doch alles!“ – entgegneten ihm wiederholt seine Brüder aus der Gemeinde.

Am 12. August 1921 kam Iwan Voronaev, der russische Pfingstprediger aus den USA, nach Odessa. Hermann hörte vom „neuen Pfingstglauben“ und fuhr mehrmals nach Odessa, um mehr über diesen Glauben zu erfahren. Er kam mit der Gewissheit zurück, dass die Geistestaufe, mit dem Zeichen der Zungensprache, mit Gottes Wort konform ist. „Das ist das, was Gott mir offenbart hat, das ist mehr als nur Frieden im Herzen“, war seine persönliche Überzeugung. Dies predigte er auch in der Gemeinde in Gorščik und erlebte während des folgenden Gebets die Geistestaufe persönlich. Darüber hinaus war er in dem Moment der Taufe entzückt und hatte dabei einen Einblick ins Himmelreich. Als er seine Fassung wiedererlangt hatte, konnte er nur weinen und in Zungen beten. Dieser Zustand dauerte bis in die Nacht an. Die Kritiker aus der Baptistengemeinde sagten daraufhin „Jetzt hat er bekommen, was er wollte“ in einem sehr herablassenden Ton, als ob Hermann von Sinnen sei. Auch seine Frau Adelja war anfänglich gegen die pfingstliche Bewegung, da sie die Baptistengemeinde nicht verlassen wollte. Wenig später wurde jedoch auch sie mit dem Heiligen Geist getauft und betete in anderen Zungen.

Daraufhin teilte sich die Gemeinde und Hermann Schulz leitete die neu entstandene Pfingstgemeinde. In Absprache mit den Baptisten durften sie das Gebetshaus benutzen: Vormittags feierten die Pfingstler den Gottesdienst, nachmittags die Baptisten. Der erste, der sich als Lutheraner bekehrt hatte, war Leopold Zielke mit seiner großen Familie. Weitere bekannte Familien sind die von August und Pauline Bolender, Richard Steinke und Erwin Kruske.

Für seine Pfingstbotschaft musste Hermann von Beginn an viel leiden. Einmal wurde er von Dorfbewohnern so zusammengeschlagen, dass er lange Zeit im Krankenbett verbringen musste. Die Gemeinde wuchs indessen zahlenmäßig und wurde immer größer. Der Ruf vom Pfingstglauben war in Windeseile verbreitet. Eines Tages fuhr in den Hof von Hermann Schulz ein Wagen vor. Im Wagen lag eine Frau, die von einem bösen Geist besessen war. Als der Wagen in den Hof einfuhr, schrie die Frau: „Warum bringt ihr mich ins Gerichtshaus?“ Die Brüder fasteten und beteten, bis Gott die Frau von dem bösen Geist befreite.

1928 wurde die erste und letzte Wassertaufe in Gorščik durchgeführt. Die örtliche Polizei hatte damals Schutz für die Veranstaltung geboten. Weil der Wasserstand im Fluss zu niedrig war, wurde der Untergrund des Flusses ausgehoben. So konnten die Glaubensbrüder Hermann Schulz und August Bolender 72 Männer und Frauen taufen.

Hermann Schulz war ein eifriger Evangelist. Einmal war er mit Richard Steinke zum Predigen in ein Nachbardorf gefahren, dessen Einwohner alle lutherischen Glaubens waren. Das ganze Dorf war in Aufruhr, die Pfingstbotschaft verbreitete sich wie ein Feuer. Dort bekehrte sich Hartwich, der später aufgrund seines Glaubens zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Seit seiner Geistestaufe war Schulz auch ein aktiver Mitarbeiter in der von Voronaev neu gegründeten Pfingstunion. So wurde er für das Jahr 1928 mit 42 anderen zum Unionsevangelisten gewählt und gelangte in die engere Auswahl von 34 Ratsmitgliedern des Rates der Allukrainischen Union.

1930 wurden Voronaev und viele andere Leiter der Pfingstbewegung verhaftet. Auch im Dorf Gorščik wurden die Mitglieder der Pfingstgemeinde von Verhaftungen nicht verschont. Hermann Schulz und Iwan Barbulja wurden verhaftet, jedoch anschließend ohne Gerichtsverhandlung entlassen. Doch bald kam eine weitere Unannehmlichkeit auf die wohlhabenden deutschen Bauern zu. Sie wurden gezwungen, in Kolchosen einzutreten und ihr ganzes Hab und Gut an diese auszuliefern. Keiner der Russlanddeutschen wollte dies freiwillig tun. 1932 säte Hermann Schulz im Frühling noch die letzte Saat aus und schaffte es, das Pferd und die Kuh zu verkaufen. Im bolschewistischen Dorfrat sagte man ihm: „Du hast gesät und wir werden es ernten.“ Hermann versuchte, seine Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen, jedoch kamen kurz darauf die Sowjets mit einem Durchsuchungsbefehl und konfiszierten alle gefundenen Besitztümer.

1936 wurden viele deutsche Familien aus Wolhynien nach Nordkasachstan deportiert. In diesem Jahr wurde das ganze Dorf Gorščik in das Dorf Perwomajka, Kasachstan, umgesiedelt. Damals hieß dieses Dorf noch einfach Trudposölok Nr. 12 (zu Deutsch „Arbeiterniederlassung“). Ganze Eisenbahnwaggons, mit deutschen und polnischen Umsiedlern besetzt, kamen an. Auf die Schnelle wurden Baracken für die Neuankömmlinge gebaut. In der Sommerzeit schafften es die Deutschen, aus dem wenig Vorhandenen ein Dorf mit Häusern aus Lehmziegeln zu errichten und sich für lange Zeit niederzulassen. Im Oktober 1936 wurde auch die Familie von Hermann Schulz umgesiedelt. Adelja war schwanger, sodass die Familie deshalb nicht mit den ersten Umsiedlern fahren konnte. Für die Vorbereitungen der Umsiedlung bekamen die Betroffenen nur eine Woche Zeit zugestanden.

Am 15. Februar 1938 wurde Hermann Schulz, Vater von neun Kindern und der Leiter der Pfingstgemeinde, erneut verhaftet und am 10. Juli 1938 verurteilt. Die Familie erhielt seitdem keinen einzigen Brief von ihm, sondern später nur eine offizielle Mitteilung: „Gestorben an der Folge einer Lungenentzündung“. In den offiziellen Listen von 48 Verurteilten aus dem Dorf Perwomajka findet man sein offizielles Urteil: „Höchstes Strafmaß – Erschießung“. Am 11. Oktober 1957 wurde Hermann Schulz als politischer Häftling rehabilitiert „aus Mangel am Bestand des Verbrechens“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert