Wie vergebe ich?

Mein bester Freund/meine beste Freundin hat mich beleidigt und es schmerzt innerlich einfach sehr. Es ist, als ob einem das Herz zerspringt. Ich kann nachts nicht schlafen, komme nicht zur Ruhe und muss immer daran denken, wie man nur so etwas tun kann.

Solche oder so ähnliche Aussagen hört man oft von Jugendlichen. Auf verletzende Worte oder nicht gehaltene Versprechen folgen oftmals Beleidigungen oder Enttäuschungen. Körperliche Wunden heilen meistens mit der Zeit. Emotionale Schmerzen dagegen können auch über Jahre andauern. Manchmal sind gerade diese Schmerzen so tief, dass Vergebung unmöglich scheint. Zum einen ist es kaum vermeidbar. Menschen sind unterschiedlich und haben verschiedene Charaktere. Dass es zu Reibereien, Auseinandersetzungen und Streitigkeiten kommt, lässt sich nicht verhindern. Zum anderen stellt sich dann aber die Frage: „Wie löst man diese Probleme?“

Häufig bekommt man diesen viel zitierten Satz aus der Bibel zu hören:

Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ (Vgl. 2.Mos. 21,24)

Lästert jemand über mich, lästere ich über ihn. Fängt eine Person einen Streit mit mir an, halte ich dagegen und gebe nicht nach. Behandelt mich jemand ungerecht, zahle ich es ihm zurück. Das ist der Ansatz der Vergeltung. Es genügt nur ein flüchtiger Blick in die täglichen Nachrichten, um zu erkennen, dass dieser Ansatz der falsche ist.

Vergebung als Lösung

Dem Ansatz der Vergeltung widerspricht Jesus in seiner Bergpredigt und stellt dagegen in Mt. 5,38-39 ein anderes Konzept vor:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge und Zahn um Zahn!« Ich aber sage euch: Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen; sondern wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, so biete ihm auch die andere dar.

Und weiter führt Er in Mt. 5,43-44 aus:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen.

Vergebung in Kombination mit Nächstenliebe. Das ist es, was wirklich zwischenmenschliche Probleme beseitigt. Jesus lebtees selbst vor, als Er uns mit Gott, dem Vater versöhnte:

Als Jesus am Kreuz hängt, bittet er für die Menschen, die ihn geißeln, verraten und kreuzigen, um Vergebung bei Gott. Er spricht: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“ (Lk. 23,34a) Niemandem macht Er einen Vorwurf, obwohl durch Ihn das ganze Universum erschaffen wurde. Er besitzt die Macht und das volle Recht, allen, die Ihm Unrecht antun, zu beweisen, dass Er wirklich Gottes Sohn ist. Dass selbst Legionen von Engel kommen könnten, die ihn verteidigen. Jesus lebte uns praktisch vor, wie wir als seine Nachfolger vergeben sollen.

… aber wie vergebe ich?

In der Theorie wissen wir alle, dass wir vergeben müssen und keine Situation uns dazu berechtigt, unserem Nächsten nicht zu vergeben. Doch in der Praxis scheint es uns manchmal unmöglich. Im Folgenden möchte ich einige praktische biblische Ansätze vorstellen, die uns veranschaulichen, wie wir vergeben können:

1. Schaue auf das Kreuz

Petrus stellte einmal Jesus folgende Frage:

Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, der gegen mich sündigt? Bis siebenmal?“ (Mt. 18,21)

Das Problem bei Petrus‘ Frage war, dass er zu sehr auf sich selbst schaute. Er war gegenüber seinem Bruder im Recht und entwickelte seiner Ansicht nach die Vorstellung, dass Vergebung ein bestimmtes, begrenztes Maß haben müsste.Jesus wiederum wies ihn mit folgender Antwort darauf hin, dass Vergebung kein Maß hat, sondern grenzenlos sein sollte:

Jesus antwortete ihm: Ich sage dir, nicht bis siebenmal, sondern bis siebzigmal siebenmal.“ (Mt. 18,22)

Vergebung in ihrer reinsten Form können wir am Kreuz erkennen. Dort wird uns wieder bewusst, wie viel Gnade Gott uns schon erwiesen hat. Nämlich viel mehr, als wir jemalsjemanden vergeben müssen. All unser Versagen, unsere Sünden, unsere Schwachheiten und schlechten Gewohnheiten. Dies machte Jesus auch Petrus deutlich, als Er in Mt. 18, 23 ff. das Gleichnis vom unbarmherzigen Knechten erzählt.

Der Blick zum Kreuz, die Sicht auf unsere eigenen Sünden und das Nachsinnen über unsere persönliche Errettung, heilen uns von einem selbstzentrierten Denken. Wenn ich in tiefer Demut wieder auf Golgatha war, bin ich auch bereit, meinem Nächsten zu vergeben.

2. Danken befreit!

Manchmal ist es so, dass Vergebung ein Prozess ist. Man ist bereit zu vergeben und legt alle Kraft daran, aber nicht sofort hat man den emotionalen Schmerz überwunden. 

In Apg. 16,23-34 lesen wir von Paulus und Silas. Beide reisen auf den Ruf Gottes hin nach Philippi. Sie verbreiten die gute Nachricht und werden aufgrund dessen ins Gefängnis geworfen. Eingesperrt in das Innerste des Stadtgefängnisses, unter starken Schmerzen der Schläge, wurde ihnen scheinbar jede Möglichkeit genommen, das Evangelium zu verkündigen. Nicht sofort, aber einige Zeit später taten sie dann folgendes, was eine große Wirkung nach sich zog:

Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott mit Gesang, und die Gefangenen hörten ihnen zu. Da entstand plötzlich ein großes Erdbeben, sodass die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert wurden, und sogleich öffneten sich alle Türen, und die Fesseln aller wurden gelöst.“ (Apg. 16,25-26)

Für mich ist es immer wieder lehrreich zu erkennen, dass auch die Jünger eine Zeit nach den Misshandlungen brauchten, um in einem Lob einzustimmen. Verbitterung, Zorn und Hass hätten niemals diese Folgewirkung gehabt. Stattdessen bewirkte aber der Dank zu Gott etwas Gewaltiges!

Und das kann es auch in unserem Leben tun. Vielleicht erscheint es widersprüchlich, nicht logisch und irgendwie fremd. Aber im Prozess des Vergebens, Gott aktiv zu danken, vermeidet, dass unser Herz verhärtet wird. Es schützt uns vor geistlichem Stillstand und hilft uns, durch diese Situation geistlich zu wachsen und gestärkt herauszugehen.

3. Glauben

Es ist unbedingt wichtig, daran zu glauben, dass man der anderen Person vergeben hat. Manchmal können sich in dem Prozess der Vergebung Zweifel einschleichen. Man denkt, man hätte schon längst von Herzen vergeben, aber ist sich dessen plötzlich nicht so ganz sicher. Eine der möglichen Hauptursachen kann darin bestehen, dass man nach dem Vergeben doch nicht ganz Vergessen hat. Aber müssen wir denn überhaupt vergessen?

Das Nicht-Vergessen-Wollen ist genau der Gedanke des Teufels, um uns die wahre Befreiung durch die Vergebung zu verwehren. Er möchte uns die Lüge einreden, dass wir dies als eine Art Schutz brauchen, um uns angeblich vor künftigen Enttäuschungen abzuschirmen. Doch lass dir gesagt sein, dass dein Herz erst die vollständige Vergebung spüren wird, wenn du die Tat auch vergisst. Es gilt, im Kampf nicht aufzugeben und dies als Anliegen vor Gott zu bringen. Wenn wir uns in Demut dazu bekennen, dass wir aus menschlicher Sicht nicht die Kraft zum Vergessen haben, sondern völlig von Gott abhängig sind, macht Er seine Verheißungen unbedingt wahr und schenkt Gnade. Nur bei Ihm finden wir wahre Befreiung und die Kraft, um dem Nächsten aus ganzem Herzen zu vergeben und zu segnen. 

Die Kraft der Vergebung

Einmal erlebte ich ein ziemlich einschneidendes Ereignis, in dem ich stark geprüft wurde. Ich leihte einer Person eine große Summe an Geld, wurde jedoch immer weiter vertröstet und hingehalten. Schließlich stellte sich heraus, dass ich nicht der Einzige war, der auf die Rückzahlung des Geldes wartete. Leider war die Person psychisch nicht stabil, kam mit den vielen Schulden und Lügen nicht klar und musste daraufhin in psychiatrische Behandlung. Ich versuchte, mit dem Gedanken klarzukommen, dass ich das Geld nicht wiedersehen würde.Es war schwer, keine bösen Gedanken zuzulassen, wirklich zu vergeben und um Befreiung für die Person zu beten. Wir sind berufen, Menschen für Gott zu gewinnen und nicht wegen unserem Recht noch tiefer in den Abgrund zu stürzen. Ich wusste, dass Gott mich versorgen würde, auch wenn ich nicht mit dem Geld rechnen konnte. Er weiß aus jeder Situation den Ausweg und verspricht seinen Kindern seinen Beistand.

Lasst uns immer daran denken: Gott schaut darauf, wie wir unserem Nächsten vergeben und so wird er auch uns vergeben.

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